30 Mai 2022

Aida Revisited

Fünf Jahre nach ihrem Opernregie-Debüt in Salzburg bringt Shirin Neshat die Aida noch einmal neu in Dialog mit ihrer Filmkunst.

Selten bekommt eine Operninszenierung die Möglichkeit zu wachsen, sich zu verändern, sich weiterzuentwickeln. Dass dieser künstlerische Prozess ausgerechnet der Salzburger „Aida“-Produktion aus dem Jahr 2017 eröffnet wird, mag der außergewöhnlichen bildenden Künstlerin geschuldet sein, um deren erste Opernregie es sich dabei handelt: Shirin Neshat, eine der bedeutendsten Foto- und Videokünstlerinnen der internationalen Kunstszene.

Obwohl ihre strenge, reduzierte, dabei trotzdem immer poetische Ästhetik in den Videoeinspielungen oder etwa der statischen, teils blockweisen Personenführung klar ersichtlich war für die Kenner ihres Werks, schien ihr selbst das im Rückblick zu verhalten. Also nützt die seit ihrem 17. Lebensjahr, seit den 1990er-Jahren in New York lebende Iranerin die Chance, „meine erste Opernerfahrung neu einzuordnen“, wie sie es formuliert. „Mir ist klar geworden, dass ich damals meine eigene Arbeit als bildende Künstlerin und Filmemacherin etwas zu sehr zurückgenommen habe.“ Ein neuer Dirigent, Alain Altinoglu statt Ricardo Muti wird ihr dabei zur Seite stehen.

Vor allem in der inhaltlichen Deutung verspricht es provokanter zu werden. Verschiedene Ebenen sollen irritierend ineinander übergehen – die von Film- und Bühnengeschehen, die von Traum und Handlung der Figuren. Dieses Verschwimmen von Zuständen, von Welten hat Neshat schon immer interessiert. Sei es, dass die meist weiblichen Hauptfiguren in ihren Videos und Filmen ihrem Inneren, ihrem Unbewussten plötzlich begegnen, ihm in die Augen sehen müssen. Sei es, dass sie die Haut der von ihr fotografierten Menschen kalligrafisch mit arabischen Zeichen überzieht, sodass man sie lesen kann wie Gedichte (meist von iranischen Dichterinnen). Oder die westliche und östliche Welt, Orient und Okzident, greifen ineinander. Was Neshats eigenes Leben im Exil spiegelt, ein Schicksal, eine Sehnsucht nach der Heimat, die sie mit Aida, der äthiopischen Königstochter, die in Ägypten als Sklavin leben muss, teilt. Die starken Frauen und ihre Dilemmata, ihre Zerrissenheiten zwischen (nationalen, religiösen, amourösen) Zugehörigkeiten und Loyalitäten sind ein altes Thema in Neshats bildmächtigen schwarz-weißen Videoinstallationen und Filmen; drei Spielfilme hat sie bereits gedreht, 2017 „Auf der Suche nach Oum Kulthum“, der „ägyptischen Maria Callas“, und 2021 „Land of Dreams“, das dystopische Bild eines gespaltenen Amerikas, in dem eine „Traumfängerin“ iranischer Herkunft sich mit ihrer Wahlheimat auseinanderzusetzen beginnt.

Viele inhaltliche Stränge und formale Verknüpfungen führen aus diesen Filmen zu Neshats Salzburger „Aida“. „Das Publikum wird die Geschichte diesmal zweifach verfolgen können: einmal als tatsächliches, lebendes Bild, und einmal als aufgenommenes“, erzählt sie. Die Filmprojektionen „werden nicht nur als Requisite oder Hintergrund fungieren, sondern eine parallele Realität abbilden. Elemente des Videos werden nach und nach mit in die Geschichte auf der Bühne einbezogen. So erscheinen plötzlich Männer und Frauen in Schwarz-Weiß auf der Bühne und kehren dann wieder ins Video zurück.“ Derartiges, so Neshat, habe sie noch nie zuvor gewagt.

von Almuth Spiegler
Zuerst erschienen am 30.05.2022 in Die Presse Kultur Spezial: Salzburger Festspiele

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