„Das Wort lebt länger als die Tat.“
„Ich habe eine Menge gelernt über strukturelle Ungleichheiten.“
Bettina Hering, Schauspieldirektorin der Salzburger Festspiele, über Lesungen und „Recherche“-Abende.
Die Lesungen erlauben heuer, Künstler wie Max Reinhardt, Max Frisch, Ingeborg Bachmann, Jean-Paul Sartre und Bert Brecht in Briefen und persönlichen Texten besser kennenzulernen. Welche Überraschungen gibt es dabei möglicherweise?
Die Lesungen sind klar konzipiert: Zum einen sind es drei Briefwechsel, die ich mit der Idee dahinter präsentiere, dass sie drei Paare des 20. Jahrhunderts zeigen, die – wie Max Reinhardt und Helene Thimig – das Theater, – wie Ingeborg Bachmann und Max Frisch – die Literatur, und – wie Simone de Beauvoir und Jean-Paul Sartre – die Philosophie ganz stark beeinflusst und geprägt haben. Unter sehr unterschiedlichen Bedingungen, in verschiedenen Lebensphasen, über kürzere oder lange Zeit. Mit glücklichen, tragischen, leidenschaftlichen, verzweifelten, amüsanten und reflektierten Momenten. Gelesen werden diese Briefwechsel von drei Generationen von Schauspielerinnen und Schauspielern, die wiederum ganz wesentlich für den Film und das Theater waren und aktuell sind und die teilweise prägende Rollen bei den Salzburger Festspielen auch in meinen Jahren als Schauspielchefin gespielt haben. Das sind: Edith Clever und Tobias Moretti, Lina Beckmann und Charly Hübner und Paula Beer und Albrecht Schuch. Über die ikonischen Künstlerinnen und Künstler der Briefwechsel erfahren wir Neues, Unerhörtes, Überraschendes, das unsere Sicht auf ihr Werk erweitert, mehr Auskunft gibt auf die Zeit und die Umstände, in denen sie gelebt haben. Und Aspekte, die diese exzeptionell innovativen Persönlichkeiten in ihrer Privatheit immer wieder alltäglich, aber auch kritisch zeigen.
Der Abend, den Angela Winkler mit dem delian::quartett bestreitet, ist gänzlich anders beschaffen. Die literarischen Texte Bertolt Brechts glänzen für sich und ergänzen sich aufs Schönste mit der Musik. Zu unserem „Kaukasischen Kreidekreis“ mit dem Theater HORA passt nichts besser.
„Das andere Geschlecht“ von Simone de Beauvoir wird als Marathonlesung präsentiert – was macht für Sie den Reiz einer solchen aus?
Diese Marathonlesung ergibt sich zum einen direkt aus dem vorhergehenden Lesungsprogramm, das mit Sartre und Beauvoir abschließt. Beauvoirs Jahrhundertwerk „Das andere Geschlecht“, quasi eine Standortbestimmung zur Lage der Frau von 1949, gehört unbedingt gehört. Und zwar heute, damit wir wiederum eine Standortbestimmung vornehmen können: Wie weit sind wir gekommen, sind wir überhaupt weitergekommen? Eine Marathonlesung gibt dem Publikum die Chance, sich Zeit zu nehmen, sich wirklich auf einen Text einzulassen, den man selber vielleicht nicht bewältigen wollen würde. Und in diesem Fall lesen 14 großartige Frauen, die die Festspiele und auch mich begleitet haben: Was gibt es Schöneres?
Welche Art von Texten kann man sich bei dem Recherche-Abend „Frauen Literatur – abgewertet, vergessen, wiederentdeckt“ erwarten? Und welche davon waren eventuell auch für Sie Entdeckungen?
Das gleichnamige Buch von Nicole Seifert hat mir in vielerlei Hinsicht die Augen geöffnet. Obwohl ich eine große Leserin und auch durchaus vertraut mit dem Literaturbetrieb bin, habe ich nochmals eine Menge gelernt über die strukturellen Ungleichheiten und was das für die einzelnen Literatinnen bedeutet hat. Im Gespräch mit der Regisseurin Helgard Haug, die die meisten ihrer Theatertexte auch selber schreibt, wird vieles erörtert werden, was das Publikum überraschen wird. Ganz abgesehen von einigen Autorinnen, die man kennenlernen könnte und sollte.
Masha Gessens Roman „Die Zukunft ist Geschichte“ beleuchtet die russische Gesellschaft von den postsowjetischen Jahren bis zum heutigen Putin-Regime. Wird die Autorin neben der Lesung auch für eine Diskussion über die aktuelle Lage zur Verfügung stehen?
Das kann ich noch nicht abschließend beantworten. Ich bin sehr glücklich, dass Masha Gessen uns beehrt, und freue mich unglaublich über die Zusage und den Vortrag.
Wie persönlich wird für Sie der Recherche-Abend „Abschied“? Einen solchen werden Sie ja nach der Saison von den Salzburger Festspielen nehmen …
Mit Carolin Emcke, die diesen Abend dankenswerterweise kuratiert, verbindet mich durch unsere gemeinsamen Arbeiten im Rahmen der Salzburger Festspiele eine Freundschaft. So ist es für mich ein äußerst reizvolles Zusammentreffen von Persönlichem wie Professionellem. Dass sechs wunderbare heutige Autorinnen und Autoren sich Gedanken über Abschied machen und dafür neue Texteschreiben, dass Senta Berger, mit der ich mich bestens verstehe und die eine so herrliche Schauspielerin und Leserin ist, zusätzlich noch Ilse Aichinger und J. D. Salinger liest, wird mir meinen persönlichen Abschied leichter machen. Denn wie der griechische Lyriker Pindar schon sagte: „Das Wort lebt länger als die Tat.“
Interview: Theresa Steininger
Zuerst erschienen am 20.05.2023 in Die Presse Kultur Spezial: Salzburger Festspiele