8 Mai 2023

Salzburger Festspiele Pfingsten 2023

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zu Pfingsten

Als Orfeo steht Cecilia Bartoli im Zentrum der Neuproduktion von Glucks berühmter Reformoper. Premiere feiert die Inszenierung von Christof Loy bereits im Rahmen der Pfingstfestspiele, die sich dem Orpheus-Mythos in vier ganz unterschiedlichen Projekten widmen. Cecilia Bartoli ist dabei auch als Euridice zu erleben.

Die fundamentale Bedeutung des Orpheus-Mythos für die europäische Operngeschichte wählte Cecilia Bartoli heuer zum Thema der Pfingstfestspiele. Das Programm umspannt zwei Jahrhunderte, von der Initialzündung des Claudio Monteverdi anno 1607 bis zur unkonventionellen Lesart Joseph Haydns 1791. Mit Glucks Orfeo ed Euridice steht ein Werk im Mittelpunkt, das überdies tief in der Tradition der Salzburger Festspiele verankert ist. Bruno Walter brachte es schon 1931 zur Aufführung und holte für die szenische Aktion die legendäre Margarete Wallmann mit ihrem Tanzensemble nach Salzburg.
Christof Loy bringt für seine Inszenierung nun ebenfalls seine eigenen Tänzerinnen und Tänzer mit. Vor Kurzem hat er begonnen, seine Vorstellungen von Tanztheater, die ihn seit der Studienzeit an der Essener Folkwangschule begleiten, mit einem handverlesenen Trüppchen in die Praxis umzusetzen. „Ich habe Leute ausgesucht, die auf Basis meiner Ideen etwas improvisieren können, das ich dann skulptiere“, beschreibt er seine Vorgangsweise. Und freut sich auf die Wiederbegegnung mit Cecilia Bartoli, mit der er 2017 eine denkwürdige Produktion von Händels Ariodante erarbeitete. Sein Orfeo-Konzept ist nun ganz auf ihren Gesang abgestellt: „Im Zentrum steht die Kraft, durch Töne zu bewegen.“

Ein Prometheus der Musik
Gemeinsam mit dem Dirigenten Gianluca Capuano hat man sich für die selten gespielte „Parma-Fassung“ entschieden, die Gluck 1769 anlässlich der Hochzeit von Erzherzogin Maria Amalia mit Herzog Ferdinand von Bourbon-Parma schuf. Die sieben Szenen umfassende „Azione teatrale“ unterscheidet sich von der 1762 uraufgeführten, in drei Akten strukturierten Wiener Fassung vor allem dadurch, dass die Titelpartie von der Alt- in die Sopranlage transponiert wurde. „Das macht die Figur noch mehr zum Grenzgänger“, sagt Christof Loy. „Orfeo ist für mich ein Prometheus der Musik. Er glaubt, dass er Euridice mit den Mitteln seiner Kunst zurückgewinnen kann. Wie der Künstler hier zum Scheitern verurteilt ist, ist für mich das zentrale Thema.“ Das „lieto fine“, das Gluck und sein Librettist Calzabigi vorgesehen haben, kann es nicht geben, denn es verdankt sich allein der Macht von Amor. Ihn hat Loy in seinen Befugnissen deutlich eingeschränkt: „Letztlich läuft doch alles auf die Tatsache hinaus, dass man nach der Todeserfahrung nicht mehr anknüpfen kann an das, was vorher war.“

Beflügelt von der Kraft der Liebe
Eine andere Perspektive hat der Choreograf John Neumeier entwickelt. Seiner Ballett- Oper Orphée et Eurydice, in der die beiden Hauptrollen jeweils gesungen und getanzt werden, liegt die Pariser Fassung von 1774 zugrunde. Hier hat Gluck die Kastratenpartie für Tenor umgeschrieben und, dem französischen Geschmack entsprechend, weitere Tanzszenen hinzugefügt. Die Kreation für das Hamburg Ballett ist bereits Neumeiers dritte Auseinandersetzung mit Glucks Vertonung des Stoffes, die ihn nachhaltig fasziniert, weil hier „ein mythisches Sujet auf ganz direkte, realistische Weise mit Emotionen erfüllt wird“. In seiner Lesart ist Orphée ein Choreograf, der mit seiner Frau Eurydice eine Produktion erarbeitet. Als sie eine Probe im Streit verlässt, erleidet sie einen tödlichen Autounfall. Das Happy End darf sich im Bereich der künstlerischen Vision erfüllen: Eurydice bleibt in Orphées Schaffen lebendig, das von der inspirierenden Kraft der Liebe beflügelt wird: „Amor ist für mich Orphées Assistent.“

Monteverdi und die Magie der Marionetten
Auch die Orpheus-Figur, die Claudio Monteverdi 1607 für das erste veritable Musikdrama entwarf, hat einen „Assistenten“: Hier ist es Apollo, der den verzweifelten Künstler nach seiner Rückkehr aus dem Hades in den Olymp entrückt. Als Happy End lässt sich das kaum interpretieren, denn der musikalische Verlauf der „Favola in musica“ wendet sich mit unausweichlicher Konsequenz ins Tragische. Die Präzision, mit der Monteverdi in L’Orfeo Wort und Klang in Beziehung setzt, Drama und Musik zur suggestiven Gesamtwirkung verschmilzt, scheint prädestiniert für die szenische Übersetzung in ein Medium, das von Reduktion und Zeichenhaftigkeit lebt: „Marionetten lassen menschliche Befindlichkeiten auf unvergleichliche Weise sichtbar werden“, meinen Franco Citterio und Giovanni Schiavolin von der Mailänder Kompanie Carlo Colla & Figli, die auf eine 200 Jahre alte Tradition zurückblickt. Sie hat mit ihren Mitteln bereits große Bereiche des populären Opernrepertoires erforscht und geht mit L’Orfeo nun zurück zum Ursprung der Gattung.

Der Mythos im Licht der Aufklärung
Dass Joseph Haydn auch für die Oper Zukunftsweisendes geschaffen hat, ist nach wie vor kaum bekannt. Es ist Cecilia Bartoli daher ein besonderes Anliegen, auch seine Version des Orpheus-Stoffes zu präsentieren. Im Vergleich zu Gluck ist sie „von einer gantz anderen arth“, wie Haydn selbst in einem Brief formulierte: ein spätes Meisterwerk, komponiert 1791 in London, doch erst 160 Jahre später in Florenz uraufgeführt. Der Librettist Badini hat nicht nur eine umfangreiche „irdische“ Handlung hinzuerfunden. Der Mythos selbst wird aufklärerisch unter die Lupe genommen, wie schon der Titel andeutet: L’anima del filosofo verweist auf die Figur des Genio, für die Haydn nur eine einzige, allerdings atemberaubende Koloraturarie schrieb. Als Orfeos Begleiter in die Unterwelt verkörpert Genio die Stimme der Vernunft und philosophischen Abgeklärtheit, mahnt Orfeo zu Standhaftigkeit und Mäßigung seiner Gefühle. Die Wiederbegegnung der Liebenden entbehrt denn auch der üblichen Expressivität. Orfeo gelangt gänzlich unbehelligt von Furien und Schatten in den Hades, wo er von Euridice mit süßen, zärtlichen Tönen empfangen wird – wobei Haydn ihr Glucks berühmtes „Che farò“-Motiv als Zitat in den Mund legt. Die tragischen Konsequenzen bleiben freilich auch hier nicht aus: Orfeo verliert Euridice ein zweites Mal und wird seinerseits von Bacchantinnen vergiftet. Cecilia Bartoli hat diese Euridice übrigens bereits 1995 in einer szenischen Produktion unter Nikolaus Harnoncourt bei den Wiener Festwochen verkörpert. Für die konzertante Aufführung bei den Pfingstfestspielen versammelt sie so illustre Kollegen wie Rolando Villazón und Thomas Hampson sowie die junge Mélissa Petit in der Rolle des Genio.

Monika Mertl

zuerst erschienen in der Festspielbeilage der Salzburger Nachrichten

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