10 Jun 2024

Schauspielproduktionen 2024

Zum Schauspiel

Mein erstes Salzburger Programm entstand vor dem Hintergrund beängstigender historischer Katastrophen; dabei befassen sich die meisten der Aufführungen aber weniger mit der aktuellen politischen Agenda, sondern kreisen vielmehr – in den Worten Dostojewskis – um das „Geheimnis des menschlichen Lebens“.

Das Schauspielprogramm 2024 lässt sich in drei Teile gliedern. Der erste untersucht das Verhältnis zwischen dem Menschen und Metaphysischem und wird von zwei prominenten Namen repräsentiert: Krystian Lupa und Nicolas Stemann. In Lupas Zauberberg-Inszenierung wird das Sanatorium, in dem Thomas Manns Protagonisten am Vorabend des Ersten Weltkriegs leben, zu einer Art Arche Noah, auf der die „Helden“ der Realität entfliehen. Stemann wiederum zeigt in seiner Fassung der Orestie, wie die Götter, die in den Stücken des Aischylos die heiligen Gesetze verkörpern, in den Tragödien des Euripides zur Personifizierung einer blutigen Absurdität werden.

In einem zweiten Programmstrang geht es um die Beziehung des Menschen zur Geschichte. Der Schweizer Regisseur Thom Luz ist für seine musikalischen Bühnenfantasien bekannt. Seine neue Inszenierung nach Stefan Zweigs Sternstunden der Menschheit bezeichnet er als eine „Symphonie des historischen Chaos“. Heiner Goebbels entwirft in Everything That Happened and Would Happen eine musikalisch-kinetische Komposition, in der das heutige Geschehen mit Exkursen aus der Geschichte des 20. Jahrhunderts verwoben wird.

In einem dritten Teil des Programms steht die Beziehung des Menschen zu seinem eigenen Körper und zu seinem eigenen Bewusstsein im Fokus. Der herausragende schwedische Choreograf Alexander Ekman kreiert in seinem Mittsommernachtstraum ein neues Gesamtkunstwerk, in dem die Figuren durch ihre Traumwelten reisen. Stefan Kaegi erzählt in Spiegelneuronen – basierend auf den neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen –, wie das menschliche Gehirn funktioniert.

Lesungen und Diskussionen korrelieren mit den drei Vektoren des Programms. Botho Strauß’ Saul, gelesen von Jens Harzer, behandelt Fragen der Transzendenz; das Marathon-Projekt Vergessene Stücke, das die weißen Flecken in der österreichischen Dramatik beleuchtet, korrespondiert mit dem Thema Mensch und Geschichte. Und eine Diskussion zu Kunst und KI setzt die Fragestellungen von Stefan Kaegis Spiegelneuronen fort.

Die einzige Veranstaltung des Festivals, die abseitssteht und direkt auf die politischen Gegebenheiten reagiert, ist die Lesung der Briefe von Alexej Nawalny – mit Michael Maertens. Nach dem tragischen Tod von Alexej Nawalny kommt dieser Veranstaltung eine besondere Bedeutung zu, denn sie beweist, dass Künstler·innen – so sehr sie sich auch auf die Kunst berufen – die Politik nicht beiseiteschieben sollten.

Marina Davydova • Leitung Schauspiel

zuerst erschienen in der Festspielbeilage der Salzburger Nachrichten 2024

Videos

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Ein Mittsommernachtstraum | Salzburger Festspiele 2024 – Trailer 1
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