Über die Veranstaltung

Revolte & Resignation

Das Europa, das wir heute erleben und das von der Aufklärung geprägt wurde, ist untrennbar mit der Idee der Revolution verknüpft. Mit der Französischen Revolution findet die Epoche der Aufklärung einen Höhepunkt, in deren Folge sich moderne Demokratien ausprägen. An der Schwelle zu dieser neuen Zeit ist das Wirken Mozarts anzusetzen, dessen Nozze di Figaro vom Geist der Rebellion erfüllt ist. In Don Giovanni wiederum irrlichtert ein von jedweder gesellschaftlichen Norm losgelöster Libertin durch die Welt, läuft Amok – und in den Abgrund.

In der Festspielsaison 2024 begegnen uns Phänotypen von Menschen, die am Rande der Gesellschaft stehen und in Obsessionen kippen, aus denen sie sich nicht mehr befreien können. Für diese Phänotypen steht stellvertretend die Figur des Spielers – beispielhaft ersonnen von Dostojewski und vertont von Prokofjew am Vorabend einer anderen großen, die Welt verändernden Revolution: der Spieler, der sich und alles um ihn herum in einen Strudel des Verderbens und der Auslöschung reißt. Die Metapher vom Spieler ist wiederum Sinnbild unserer heutigen Welt – sie erzählt vom Spiel um alles, von einem Leben in der Maßlosigkeit und von der Hybris des Menschen.

Angesichts multipler Krisen, einer „Gesellschaft der Singularitäten“ sowie eines entfesselten radikalen Individualismus treten die Idee von einer solidarischen Gesellschaft und von gemeinschaftlichen Verpflichtungen immer mehr in den Hintergrund. Demokratische Staatsformen geraten gegenüber autokratischen Regimen in die Defensive. In einer Welt, in der der Mensch einem Übermaß an Regeln und/oder (Heraus-)forderungen ausgesetzt ist, in der sich die Gesellschaften ständig wachsendem Druck und eingeschränkter Freiheit gegenübersehen, manifestieren sich zwei Reaktionsmuster: Revolte & Resignation. Im diesjährigen zweiteiligen Festspiel-Dialog gehen wir den Fragen nach den Grenzen individueller Freiheit und der Bedeutung gesellschaftlicher Übereinkünfte nach. In Anlehnung an Albert Camus’ Diktum „Ich revoltiere, also sind wir“, erörtern wir, wie Angst-, Leid- und Verlust-Erfahrungen zum Handeln motivieren können – oder als lähmende Macht Pessimismus und Resignation hervorrufen. Revolte – verstanden im Sinne eines auf Solidarität ausgerichteten Handelns – meint „eine andere Art und Weise, die Zeit zu bewohnen. Sie beschwört die gemeinsame Geschichte, damit sie nicht gleichgültig und unerschütterlich entgleitet.“ (Donatella Di Cesare)

Wir fragen danach, wie viel Freiheit die Demokratie verträgt, wie viel Freiheit eine Gesellschaft benötigt und wie viel Freiheit das Individuum bewältigen kann? Wir erörtern die tektonischen Verschiebungen und die Kipp-Punkte, an denen die Zivilisation zu kollabieren droht. Wir befragen unsere schwindende Fähigkeit, Widersprüche auszuhalten – und wie es uns gelingen kann, auch angesichts der großen Herausforderungen und der Fragilität unserer Existenz empathisch zu sein, dem Anderen zu begegnen.

I. Mittwoch, 7. August 2024, 11:00 Uhr, Große Universitätsaula
Mit Solmaz Khorsand, Doron Rabinovici und Peter Sellars

II. Dienstag, 20. August 2024, 11:00 Uhr, Große Universitätsaula
Mit Maxim Biller, Donatella Di Cesare, Eva von Redecker und Armin Thurnher

Konzeption: Markus Hinterhäuser, Margarethe Lasinger und Stefan Wally

Moderation: Michael Kerbler

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