Was darf ich hoffen? — Die dritte der vier philosophischenGrundfragen, wie sie einst Immanuel Kant formuliert hat, bildet das von der Vernunft bestimmte Echo auf das unerschütterliche „Et exspecto“ aus dem Credo. „Et exspecto — und ich erwarte“, heißt es mit frommer Gewissheit im Glaubensbekenntnis des lateinischen Textes der christlichen Messe, „ich erwarte die Auferstehung der Toten und das Leben der kommenden Welt“. Sind es Verheißungen, die unweigerlich eintreten, sind es Wünsche, die niemals Wirklichkeit werden können? Die Ouverture spirituelle unter dem Titel „Et exspecto“ bringt Warten und Erwartung, die Furcht vor dem Künftigen und die Hoffnung darauf, den Ausblick und den Vorschein zum Klingen — in einem musikalischen Programm, das sich wie gewohnt über die Jahrhunderte spannt. Der Glaube an die Auferstehung erfordert dabei zwangsläufig die Konfrontation mit dem Tod: In Bachs Matthäus -Passion setzt sich die christliche Gemeinde zuletzt „mit Tränen nieder“, die Spuren des persönlichen wie des allgemeinen Verlustes ziehen sich weiter bis Karl Amadeus Hartmann oder György Kurtág. Bei Luigi Dallapiccola wird selbst die Zuversicht noch zum Folterwerkzeug, Luigi Nono setzt den Märtyrer·innen des Widerstands ein Denkmal. Beat Furrer reflektiert die Endlichkeit des Liebens, Georg Friedrich Haas folgt dem Leben bis ins Grau und Grauen des Wachkomas, in ein rätselhaft -schreckliches Zwischenreich. Doch es gibt auch jene Werke, die ahnen lassen, dass nicht alles zugrunde gehen wird: In Händels Israel in Egypt ebenso wie in Mendelssohns Lobgesang-Symphonie jubeln am Ende die Chöre: „Sing ye to the Lord“, „Alles was Odem hat, lobe den Herrn! Halleluja!“ Was kann ich wissen? Was soll ich tun? Was darf ich hoffen? So fragt Kant nacheinander — und fasst in seiner vierten Frage zusammen: Was ist der Mensch? Er wäre nichts ohne die Hoffnung: „Et exspecto“.
Walter Weidringer
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